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Ratschläge sind Totschläge

Eigentlich nehme ich mir für das jeweilige neue Jahr keine Vorsätze. Doch noch vor dem Jahreswechsel habe ich in mir eine Stimme gehört, die mir immer und immer wieder gesagt hat, dass ich den Leitgedanken «Ratschläge sind Totschläge» nicht nur bei meinen Kunden, sondern auch bei meinen Familienmitgliedern anwenden soll. Doch wie ihr wahrscheinlich alle wisst, ist das Beziehungsfeld Familie immer eine besondere Umgebung und irgendwie gelten in diesem emotionalen Mikrokosmos jeweils ganz andere Regeln. Doch eigentlich wäre es gerade dort wichtig, die Regeln und Werte, die ich mit anderen lebe, auch in der kleinen Familienwelt umzusetzen.

Während den Weihnachtsferien habe ich wieder einmal erkannt, dass es doch überhaupt nichts bringt, wenn ich meinen Kindern die Erkenntnisse meiner 44-jährigen Lebenserfahrung in irgendeiner Art und Weise aufdrängen will – in der Hoffnung, dass ich sie vor irgendeiner Erfahrung schonen kann. Ich gebe meinem ältesten Sohn tolle Tipps, wie er sich für die Autoprüfung vorbereiten könnte und dass es schon ein wenig Zeit bräuchte, um an den Führerschein zu kommen. Dieser Ratschlag interessiert ihn nicht. Dann erzähl ich meiner Tochter, dass es nicht ganz so einfach sei, auf einem Snowboard zu stehen, und die ersten Kurven im Schnee zu praktizieren. Sie will es mir nicht glauben und erzählt mir, dass sie auf das Brett stehen und problemlos die ersten Schwünge in den Schnee setzten wird. So geht es dann weiter und all meine wertvollen Tipps werden missachtet oder ignoriert.

Nachdem mein ältester Sohn sich mittlerweile ein wenig mit der Theorieprüfung beschäftigt hat, meinte er letzthin, die Fragen für den Theorieteil seien doch nicht so einfach, wie er sich das gedacht hätte. Welch wunderbare Einsicht – aber er hätte ja nur auf mich hören sollen – oder doch nicht? Meine Tochter hat nach einer Woche Snowboardkurs das Snowboard wieder in den Keller gestellt und fährt ab sofort wieder Ski. Sie hatte gedacht, dass sie diese Sportart mit Links lernen würde. Weit gefehlt. Hätte sie doch nur auf mich gehört – oder doch nicht?

Oftmals will ich meine Kinder unterstützen, damit sie weniger Hürden nehmen müssen. Jedoch haben sie mich gelehrt, dass sie ihre eigenen Erfahrungen sammeln wollen. Sie wollen immer noch selber entdecken, ob etwas einfach oder schwierig für sie ist – genauso war es doch, als sie noch kleine Kinder waren und ihre ersten Gehversuche gestartet haben. Sie wollen sich entwickeln, sie wollen an ihren Fehlern und Erfahrungen wachsen. Sie wollen stolz sein, wenn sie etwas alleine geschafft haben. Sie wollen ihren eigenen Rhythmus gehen. Sie wollen ihre Erfahrung machen, wenn sie dafür bereit sind. Sie wollen scheitern und wieder aufstehen. Und am Schluss haben sie sich ganz viel lebensdienliche Resilienz angeeignet.

Mit dieser Erkenntnis kann ich mich jetzt mit viel Gelassenheit und Vertrauen zurücklehnen. Auch meine Kinder brauchen keine Ratschläge. Ich bin gespannt, wann ich ihnen aus Versehen oder aus Gewohnheit den nächsten Tipp mit auf den Weg gebe. Wenn ich dies tue, weiss ich aber, dass sie mich sofort auf meinen gut gemeinten Misstritt aufmerksam machen werden.

Wie geht es dir mit Ratschlägen?

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