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Pilgern Tag 1

Die grosse Hitze ist vorbei und ich darf mein nächstes Projekt in Angriff nehmen - den Jakobsweg in der Schweiz. Ende August, nach dem heissen Sommer, wollte ich die erste Etappe machen, doch wettertechnisch habe ich dann entschieden die Etappe 21 anstelle der Etappe 1 zu laufen.

Während den Wanderungen geht es darum, den Alltag hinter mir zu lassen und mich auf die wesentlichen Dinge im Leben zu konzentrieren. Zu Beginn begebe ich mich einzelne Tage auf die Reise und gehe für die Nacht wieder nach Hause. Während der Wanderung, die ich alleine machte, konnte ich mich trotzdem auf meinen eigenen Prozessen und meine eigene Gedankenreise einlassen.

Ich laufe ab Konstanz am Bodensee in Richtung Märstetten. Zu Beginn muss ich ein bisschen raten, und laufe intuitiv in Richtung Schweiz, bis ich beim Zoll ankomme. In der Schweiz angekommen, bewege ich mich durch die Stadt Kreuzlingen. Dort stehe ich zu meiner grossen Überraschung plötzlich vor einem Lagerhaus, das wir für die Schule vor fünf Jahren als Sommerlagerhaus besucht haben. Damals war mir nicht bewusst, dass wir am Jakobsweg hausen. Ich halte inne und schwelge einige Minuten in der Erinnerung an diese schönen Tage am Bodensee.

Während des Laufens durch ein idyllisches Tobel, das von einem kleinen Bach durchflossen wird, entdecke ich viele Steine, die mit grünem Moos bedeckt sind. Die Feuchtigkeit, die in der Luft hängt, ist eine wunderbare morgendliche Erfrischung. Im Tobel entdecke ich den Kreuzweg von Jesus mit 15 Stationen. Überall am Wegrand hat es Steine mit Bildern, die aufzeigen, wie Jesus gekreuzigt, getötet und auferstanden ist. Ich beginne mir über diese Bilder Gedanken zu machen und frage mich, in welchen Themen ich schon «gekreuzigt, getötet, auferstanden» bin. Wir alle haben unsere «Baustellen», die wir anschauen dürfen, wenn die Zeit reif dafür ist. Ich glaube die eigenen Themen, die wirklich schmerzhaft sind und irgendeinmal im Leben an die Oberfläche gelangen wollen, sind die Momente der «Kreuzigung».

Ich war eine Person, die es früher immer allen Recht machen wollte. Dadurch habe ich versucht die Harmonie in meinem Leben aufrecht zu erhalten. Ich hatte nicht gerne Streit, da ich Angst hatte, nicht mehr angenommen zu werden. Daher übernahm ich aber auch oftmals eine unbewusste Verantwortung für Andere, die ich heute sogar als übergriffig bezeichnen würde. Ging es z.B. meinem Vater nicht gut, machte ich alles, damit er sich wieder besser fühlte oder aus seiner Wut herauskam, auch wenn es mir dabei schlecht ging. Ich passte mich an und machte es so den meisten immer Recht – sei es daheim, in der Schule oder mit Kolleginnen und Kollegen. Als ich selbst Kinder bekam, wollte ich die «gute» Mutter sein, die es aber immer noch allen Recht machen wollte - den Kindern, dem Partner, dem Arbeitgeber, dem Umfeld usw.. Irgendeinmal wurde alles zu viel und mein Körper reagierte mit Schwindel und Sichteinschränkungen. Durch diese körperlichen Symptome fand ich mich dann schon bald in der Depression wieder. Dort kam ich an den Punkt, wo ich meine Baustellen anschauen musste, ja musste, denn sonst wäre ich immer tiefer in das schwarze Loch gefallen. Dieses schwarze Loch symbolisiert für mich im übertragenen Sinne den Tod des Kreuzwegs, denn jetzt ist es an der Zeit etwas loszulassen. Es sind es Verhaltensmuster, Normen oder Regeln, die ich als Identifikation gebraucht habe, die aber jetzt ihre Gültigkeit verloren haben. Auferstanden bin ich durch die stetige persönliche Weiterentwicklung, der ich heute unglaublich dankbar bin. Auf dem Weg zu mir selbst und zu meinen Bedürfnissen durfte ich erkennen, wie wichtig Selbstfürsorge und Selbstliebe ist.

Ich lade dich ein, dir selbst einmal Gedanken zu machen, wo du schon «gekreuzigt, getötet und auferstanden» bist. Oder bist du im Moment an einem Punkt, wo du spürst, dass du bald «gekreuzigt» wirst? Was oder wer hat dir bei der «Auferstehung» geholfen?

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