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Was passiert, wenn ich mich verbünde?

«Mein Mann hat mir schon wieder nicht im Haushalt geholfen. Alles muss ich immer alleine machen. Und für die Kinder übernimmt er auch nie die Verantwortung», erzählte mir eine Kollegin letzthin total frustriert. Dann stehe ich da und weiss nicht, was ich jetzt machen oder sagen soll, denn ich habe zwei Möglichkeiten: Entweder ich verbünde mich mit ihr und gebe ihr eine Million Ratschläge oder ich nehme Verbindung zu ihr auf und gehe in Beziehung mit ihr. Dies sind jedoch zwei ganz verschiedene Sachen – für was soll ich mich nun in dieser Situation entscheiden?

Ich verbünde mich mit ihr und das Gespräch könnte folgendermassen ablaufen: «Ja, meine Liebe, das geht gar nicht. Da musst du etwas dagegen unternehmen und deinem Mann sagen, dass er dich unterstützen soll. Wie hältst du das nur aus mit diesem Typen.» So geht es dann weiter. Ein Satz ergibt den anderen und wir machen diesen Mann für uns fertig und zählen auf, welche Fehler er hat und welche Qualitäten, die eigentlich jeder Ehemann haben sollte, er mit Bestimmtheit nicht erfüllt. Nach dem Gespräch geht es meiner Kollegin emotional nicht besser – eher noch schlechter, denn während des Erzählens sind all die Gefühle, die sie während der Situation mit ihrem Gatten hatte, wieder in ihrem Körper aufgestiegen. Mir geht es auch nicht gut, denn während des Gesprächs habe ich viele Emotionen, die bei ihr auftaucht sind, aufgenommen oder übernommen. Geteiltes Leid ist also halbes Leid? Ich glaube nicht. Für mich stimmt eher das Gegenteil: Geteiltes Leid ist doppeltes Leid.

Ich verbinde mich mit ihr und das Gespräch könnte folgendermassen ablaufen: «Dein Mann hat im Haushalt wieder nicht geholfen und für die Kinder übernimmt er keine Verantwortung, hast du vorhin gesagt. Wenn ich das höre, fühlt sich das bei mir sehr ratlos und traurig an.» «Ja, genau, es macht mich ratlos und es überfordert mich auch. Dies macht mich schlussendlich traurig und am liebsten würde ich weinen. Ich wünsche mir, dass wir diese Aufgaben teilen, damit ich mich auch einmal zurückziehen kann.» «Du möchtest dich also zurückziehen können? Du möchtest Raum und Zeit haben, damit du einmal machen kannst, was du möchtest?» «Genau, das möchte ich. Ich möchte auch wieder einmal mit meinen Freundinnen weggehen und an nichts denken müssen.» «Hast du ihm das schon einmal so gesagt? Weiss er, was du dir wünschst und weshalb?» «Also ehrlich gesagt, so habe ich es ihm noch nie gesagt.» In diesem Beispiel habe ich versucht mit meinem Gegenüber in Verbindung zu treten. Das bedeutet, herauszufinden, welche Emotionen und Bedürfnisse gerade präsent sind. Nach diesem Gespräch fühlen sich beide Personen wohl, da ein Licht am Ende des Tunnels erkennbar ist.

Wir haben immer die Wahl, ob wir uns mit dem Gegenüber verbünden oder mit ihm in Beziehung treten wollen. Ich für mich habe mich für die Beziehung entschieden. Aus Erfahrung weiss ich, dass ich viel mehr aus einem Gespräch mitnehmen kann, wenn die andere Person mit mir in Beziehung tritt. Es bringt mich einen Schritt weiter, es macht alles ein wenig leichter und klarer, weil ich meine Gefühle und Bedürfnisse dadurch besser erkenne. Manchmal falle ich wieder in meine alten Muster zurück. Dann reagiert mein Körper sehr schnell und ich sinke in diese Gefühle, die mir nicht guttun. Ich weiss, jetzt kann oder sollte ich die Notbremse ziehen und aussteigen.

Für was entscheidest du dich?

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